Vorwort


Der vorliegende Sammelband beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten der Darstellung der KurdInnen in den Massenmedien; dabei setzt er sich besondere mit der deutschsprachigen und der türkischen Presse auseinan-der. Gegenstand ist aber auch die Selbstwahrnehmung von KurdInnen in der Exilpublizistik und die Mediennutzung durch kurdische MigrantInnen sowie die Rolle der in Deutschland erscheinenden türkischen Presse.
Dabei ist die Frage aufgeworfen, was im Rahmen der Mechanismen von modernen Massenmedien als Realität wahrgenommen und vermittelt wird. Inwieweit verzerren oder manipulieren Massenmedien Realität oder konstruieren sie gar? Welche Folgen hat die mediale Darstellung auf die Außenpolitik, auf transstaatliche Beziehungen und die Integration von kur-dischen Migranten in den Immigrationsländern?
Zu beobachten sind eine immer unmittelbarere Berichterstattung und ein gleichzeitig schneller wechselndes Themeninteresse. Die Komplexität der Themen nimmt zu, aber die mediale Zeit nimmt ab. Dies führt dazu, dass weniger marktrelevante Themen unter den Tisch fallen und sich Be-richterstattung an Möglichkeiten zur Skandalisierung und Konfliktbeto-nung orientiert.
Hiervon ist auch das Kurdenthema betroffen, bei dem Innen- und Au-ßenpolitik besonders nahe beieinander liegen. Die mediale Praxis hat ge-zeigt, dass gerade bundesdeutsche Medien in der Berichterstattung und in dem Umgang mit KurdInnen – vor allem auch kurdischen Flüchtlingen – sehr polarisiert agieren und öffentliche Meinungen beeinflussen. In den letzten Jahren hat die kurdische Thematik im Anschluss an tagesaktuelle Ereignisse phasenweise einen breiten Raum in den Medien eingenommen. Dabei blieb die Berichterstattung jeweils auf bestimmte Bereiche be-schränkt, wobei Stereotypen und „Schreckensmeldungen“ überwogen. In der Folge davon wurde das Bild der Kurdinnen und Kurden in der deut-schen Öffentlichkeit nachhaltig geprägt. Auffällig ist, dass in zahlreichen Stellungnahmen und Medienberichten die KurdInnen als „Objekte“ von po-litischen Kontroversen behandelt werden. Dabei liegt der Vorwurf nahe, dass Massenmedien sich in ihrer Selektion einzig und allein an Dynamik und Sensationspotential orientieren, welches dann wiederum in die gesell-schaftliche Kommunikation eingeht und so unser Bild von Realität erzeugt.
Das „Kurdenbild“ in den Medien unterliegt dabei einem fortlaufenden Wandel:
Ende der achtziger bis Anfang der neunziger Jahre, als das Augenmerk auf Ereignisse wie den Giftgasangriff auf die Stadt Halabja und die kurdi-sche Massenflucht nach dem zweiten Golfkrieg gerichtet war, stand die Vorstellung von den Kurden als Opfern im Vordergrund.
Seit den Autobahnblockaden in Deutschland im März 1994 und der sich daran anschließenden Berichterstattung setzte sich das Bild von kurdi-schen Gewalttätern und Terroristen fest. Andererseits wurde jedoch weder friedlichen Demonstrationen kurdischer ZuwandererInnen noch der (unauf-fälligen) Integration vieler rechtstreuer KurdInnen und ihrer Familien me-diale Aufmerksamkeit geschenkt.
Die Meldungen über Kämpfe zwischen "rivalisierenden kurdischen Gruppierungen" in Kurdistan-Irak in den 90er Jahren riefen nicht selten Assoziationen von einer nicht demokratiefähigen Stammesgesellschaft, Korruption und Nepotismus hervor. Über die seit 1992 bestehende demo-kratische Ordnung in den Kurdengebieten im Irak wird dagegen kaum be-richtet. In der ehemaligen kurdischen „Schutzzone“ sind im vergangenen Jahrzehnt unter schwierigsten Bedingungen zivile demokratische Verwal-tungsstrukturen aufgebaut, freie Parlamentswahlen durchgeführt und eine demokratische Medienvielfalt geschaffen worden. Die positive Rolle der KurdInnen für die Schaffung stabiler Verhältnisse im Irak, ihr Eintreten für einen säkularen Staat, für Grundwerte wie Pluralismus, Gleichberechti-gung, freie Presse und parlamentarische Demokratie im Irak wurden und werden dagegen meistens ausgeblendet und häufig unterschätzt. Obwohl die KurdInnen im Irak sich für einen föderalistisch verfassten Irak stark machen, werden ihnen immer andere politische Absichten zugeschrieben, z.B. die Gründung eines unabhängigen Staates. Während und nach dem 3. Golfkrieg wiederum hat sich ein Bild der KurdInnen als „Bündnispartner (Kollaborateure) der Amerikaner“ geprägt.
Daneben ist gewissermaßen als „andere Seite der Medaille“ eine Mar-ginalisierung und Tabuisierung des „Kurdenkonflikts“ zu beobachten – ver-bunden mit der Scheu vor vermeintlichem „Separatismus“. Insbesondere Politik und Behörden tendieren dazu, jede Person, die aus der Türkei kommt, als „Türke“ zu definieren. Die KurdInnen in Deutschland werden ohne besondere Begründung in allen gesellschaftlichen Bereichen durch Begriffe wie „Türken“, „türkische Volksgruppen“ oder „türkischstämmige Bürger“ dargestellt. Unkritisch werden dabei vor allem Zahlen und For-schungsarbeiten des Essener „Zentrums für Türkeistudien“ zugrunde ge-legt. Damit machen sich die Verantwortlichen zugleich die offizielle Dikti-on des türkischen Staates zueigen, die noch immer der Auffassung zuneigt, alle Bewohner dieses Landes seien auch türkische Volkszugehörige. (Art. 3 der türkischen Verfassung besagt noch immer „Der Staat Türkei ist ein in seinem Staatsgebiet und Staatsvolk unteilbares Ganzes. Seine Sprache ist Türkisch.“)
Auch wenn es keine exakten Statistiken über die in Deutschland leben-den KurdInnen gibt, gehen Schätzungen von 700.000 bis 800.000 aus, von denen die Mehrheit aus der Türkei stammt. Eine undifferenzierte und unre-flektierte Subsumtion dieser bedeutenden eigenständigen Bevölkerungs-gruppe unter den Begriff „Türken“ erscheint unangemessen. Zudem wird dies von den Betroffenen häufig als Ausgrenzung wahrgenommen, denn die kurdische Identität und die „kurdische Frage“ hat in ihrer lebensweltli-chen Orientierung zumeist eine starke Präsenz.
KurdInnen in Deutschland sind in den vergangenen Jahren vielfach in die Schlagzeilen geraten. Es ist jedoch deutlich geworden, dass noch große Informationsdefizite bestehen. Die Beiträge in diesem Sammelband sollen insoweit sensibilisieren und eine Lücke schließen.
An dieser Stelle möchten wir uns beim Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen für seine freundliche Unterstützung, und bei den AutorInnen für ihre Mitwirkung herzlich bedanken.


Metin Incesu