Lebhafte Podiumsdiskussion zum Afrin-Angriff der Türkei
Am Sonntag, den 15. April 2018, organisierte Bündnis 90/Die Grünen NRW im Anschluss an ihren Kleinen Landesparteitag im Bochumer Jahrhunderthaus eine Podiumsdiskussion zum Thema „NATO-Partner Türkei und der völkerrechtswidrige Angriff auf Afrin – Nicht nur ein türkisch-kurdischer Konflikt?“.
Hierzu wurden neben dem Vorsitzenden von NAVEND – Zentrum für Kurdische Studien e.V., Metin Incesu, auch die Landtagsabgeordnete Berivan Aymaz, der Journalist Jan Jessen sowie Siggi Martsch, ein Kenner der Region, der sich seit Jahrzehnten für kurdische Belange sowohl in Deutschland als auch in Kurdistan-Irak engagiert, eingeladen.
Moderiert durch die Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen NRW, Mona Neubaur, entwickelte sich ein intensives Gespräch, insbesondere über die Lage der Kurdinnen und Kurden in Syrien sowie die autoritär-nationalistische Politik der Türkei und die Konsequenzen, die sich hieraus für die Politik in Deutschland ergeben.
Herr Incesu brachte im Namen von NAVEND e.V. wichtige Standpunkte und Forderungen in der Diskussion zur Sprache:
Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat in seinem Gutachten zur völkerrechtlichen Bewertung der „Operation Olivenzweig“ der Türkei gegen die kurdische YPG in Nordsyrien Zweifel daran geäußert, dass der militärische Angriff im Einklang mit dem Völkerrecht steht. Die Bundesregierung nahm hingegen in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE wie folgt Stellung: „[O]b in einer konkreten Situation die erforderlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts tatsächlich gegeben sind, ist von außen nur sehr schwer zu beurteilen. Zur Selbstverteidigungslage, in der die Türkei sich nach ihrer Auffassung befand, liegen der Bundesregierung keine vollständigen Tatsacheninformationen vor, die eine eigene völkerrechtliche Bewertung erlauben würden.“ (BT-Drucksache 19/1492)
Unsere Erwartung ist, dass die Bundesregierung in dieser Frage deutlich Stellung bezieht und den militärischen Angriff der Türkei auf Afrin – wie unter Völkerrechtsexpertinnen und -experten bereits anerkannt – als völkerrechtswidrig verurteilt.
Weiterhin muss die Bundesregierung die ihr zur Verfügung stehenden politischen Instrumente dazu nutzen, die Türkei mit ihren militärischen Exzessen zu konfrontieren. Hierzu sollte die Bundesregierung das Vorgehen der Türkei im NATO-Rat zur Sprache bringen, damit sich die türkische Regierung mit Blick auf ihr unverhältnismäßiges Vorgehen erklären muss. Ankara darf nicht das Gefühl vermittelt werden, dass die Weltgemeinschaft einen massiven Völkerrechtsbruch stillschweigend akzeptiert.
Es ist darüber hinaus skandalös, dass das NATO-Mitglied Türkei Hand in Hand mit radikal-islamistischen Kämpfern in Afrin agiert. Die offiziell als „Freie Syrische Armee“ bezeichneten Milizen bestehen nachgewiesenermaßen aus diversen dschihadistischen Gruppierungen.
Vor dem Hintergrund, dass der militärische Angriff auf Afrin auch mit Hilfe von deutschem Kriegsgerät stattfindet, ist die deutsche Bundesregierung gehalten, ihre Rüstungsgeschäfte mit der Türkei auf den Prüfstand zu stellen. Der Genehmigungswert für Rüstungsgeschäfte zwischen Deutschland und der Türkei im Zeitraum zwischen dem 18. Dezember 2007 und dem 24. Januar 2018 betrug 9.940.866 Euro. Der Genehmigungswert für Rüstungsgeschäfte ab dem 20. Januar 2018 beträgt bis dato hingegen bereits 4.396.968 Euro.
In Deutschland leben mittlerweile über eine Million Kurdinnen und Kurden, die die Entwicklungen in ihren Siedlungsgebieten mit großer Sorge verfolgen. So gibt es u.a. in Bonn eine relativ große kurdische Community aus Afrin, die über ihre Familien und Freundinnen und Freunde in Afrin direkt über die Geschehnisse informiert wird und hilflos mitansehen muss, wie diese dort vom türkischen Militär und islamistischen Milizen aus ihrer Heimat vertrieben werden. Wir erwarten von der Bundesregierung, den Landesregierungen und lokalen politischen Vertreterinnen und Vertretern, dass sie sich dieser Anliegen annehmen. Mit Blick auf Bündnis 90/Die Grünen hoffen und erwarten wir, dass sie sich wieder verstärkt – wie bspw. bereits in den 1980er und 1990er Jahren geschehen – für die Belange kurdischer Migrantinnen und Migranten engagieren.
Es darf nicht der Eindruck entstehen, als sei der militärische Angriff der Türkei auf Afrin ein rein „türkisch-kurdischer Konflikt“, der deutsche Belange nicht berühre. Seit dem Einmarsch der Türkei in Afrin verzeichnen wir hierzulande einen Anstieg rassistischer Beleidigungen und Mobbing gegenüber deutsch-kurdischen Schülerinnen und Schüler im Schulalltag. Oftmals sind die Schulen bezüglich derartiger Vorfälle wenig sensibilisiert und nicht in der Lage, adäquat zu reagieren. Auch hier sind Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft gefragt, entsprechende präventive und deeskalierende Konzepte zu entwickeln und umzusetzen, um die Schülerinnen und Schüler vor derartigen Übergriffen zu schützen und den Schulfrieden zu wahren.