Verhaftung und Tod von Amad Ahmad – nur eine Verkettung von Fehlern?
Nach dem Tod von George Floyd in den USA kam es weltweit zu Massendemonstrationen gegen Rassismus.
Deutschland ist nicht mit den USA zu vergleichen, und die Geschichte der Vereinigten Staaten ist eine andere. Dies ist jedoch kein Grund zur Beruhigung. Denn auch hierzulande gibt es Probleme mit Rassismus bei den Sicherheitskräften. Es gibt hierzu zwar keine repräsentative Statistik, und vieles befindet sich im Wandel. Wir wollen nicht generalisieren. Aber: Latenter, manchmal auch offener Rassismus und ungerechtfertigte Polizeigewalt kommen leider auch in Deutschland vor.
Alles nur „schwarze Schafe“?
Im letzten Jahr wurde bekannt, dass Spezialkräfte von Polizei und Bundeswehr Munition horteten und Todeslisten mit politischen Gegnern führten. Bekannt wurden auch rassistische Chatgruppen und Drohungen gegen eine Anwältin im NSU-Prozess. Recherchen zeigen Verbindungen aus Sicherheitsbehörden ins extrem rechte Milieu. Nicht zu vergessen: Bei der Mordserie der NSU neigte die Polizei dazu, die Hinterbliebenen zu verdächtigen und Rassismus als Motiv zu vernachlässigen.
Auffällig oft finden Stichprobenkontrollen bei dunkelhaarigen oder dunkelhäutigen Personen statt. „Racial Profiling“ ist in Deutschland zwar eigentlich rechtswidrig, aber in der Polizeiarbeit leider immer noch Alltag.
Nur in absoluten Ausnahmefällen werden Polizisten wegen Fehlverhaltens und überzogener Gewalt im Dienst verurteilt. Hierbei dürfte auch ein gewisser Korpsgeist eine Rolle spielen.
Auch nach 15 Jahren ungeklärt ist der Todesfall von Oury Jalloh in Dessau: Der Flüchtling aus Sierra Leone wurde im Januar 2005 von der Polizei mit fixierten Händen und Füßen in eine Gewahrsamszelle in Dessau gebracht. Zwei Stunden später war er in der Zelle verbrannt.
Weitere bekannte Fälle waren u.a. Achidi John, der nach Brechmitteleinsatz durch die Polizei starb (2001), ebenso wie Laya-Alama Condé, der ebenfalls nach einem Brechmitteleinsatz im Polizeigewahrsam starb (2004/2005).
Der Fall Amad Ahmad
Am 29. September 2018 starb der kurdische Flüchtling Amad Ahmad an schweren Brandverletzungen, die er am 17. September 2018 in seiner Gefängniszelle in der JVA Kleve erlitten hatte. Er war seit 6. Juli 2018 inhaftiert, weil er mit einer anderen Person aus Mali verwechselt worden war. Die Polizei wusste jedoch offenbar schon Wochen vor seinem Tod, dass sie den Falschen inhaftiert hatte. Inzwischen wird gegen einen Polizeibeamten wegen Freiheitsberaubung ermittelt. Der Beamte soll den Hinweis einer Braunschweiger Staatsanwältin ignoriert haben, dass es sich um eine Verwechslung gehandelt hat.
Bei der Beisetzung am 13.10.2018 zeigten sich Innenminister Herbert Reul und Justizminister Peter Biesenbach betroffen und kündigten eine lückenlose Aufklärung an.
Seit Ende 2018 versucht ein Untersuchungsausschuss des Düsseldorfer Landtags, den Fall aufzuklären. Eigentlich waren die strafrechtlichen Ermittlungen in diesem Fall schon im November 2019 eingestellt worden, und es drohte auch die Beendigung der Arbeit des Untersuchungsausschusses. Nur der Presse, die immer wieder nachgehakt hat, ist es zu verdanken, dass neue Erkenntnisse zu diesem Fall ans Licht kamen.
Doch auch bei den jüngsten Vernehmungen tauchen wieder sog. „Gedächtnislücken“ auf, und Zeugen scheinen sich dumm zu stellen (haben vielleicht auch Angst, Schwierigkeiten am Arbeitsplatz zu bekommen). Dies erinnert an fatale Schweigegelübde und erschwert die Aufklärung. Soll hier etwas vertuscht werden?
Der Fall Amad Ahmad wirft viele Fragen auf. Die schwer erklärbare Häufung und Verkettung von Fehlern (in unterschiedlicher Verantwortung) erscheint irritierend und bietet Raum für unterschiedlichste Spekulationen. Die Ereignisse sind dazu geeignet, das Vertrauen der hiesigen kurdischen (und anderen) MigrantInnen in den deutschen Rechtsstaat schwer zu erschüttern. Gerade deshalb ist eine lückenlose Aufklärung der Geschehnisse unabdingbar. Sie muss zu Konsequenzen führen, die eine Wiederholung ausschließen.
NAVEND – Zentrum für Kurdische Studien e.V. hat hierzu bereits Gespräche mit dem nordrhein-westfälischen Innenminister Herbert Reul und dem Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, Herr Dr. Jörg Geerlings (CDU) geführt. Justizminister Peter Biesenbach war wegen des laufenden Verfahrens noch nicht zu einem Gespräch bereit.
Gerade nach den NSU-Morden und den jahrelangen falschen Verdächtigungen zu Lasten der Hinterbliebenen hatten wir die Hoffnung, dass die Behörden Konsequenzen ziehen würden. Doch nach wie vor gibt es Beispiele, dass Polizisten mit einem rassistischen Menschenbild an die Arbeit gehen. Daher ist eine verstärkte Sensibilisierung der Behörden erforderlich und entsprechende Maßnahmen wie Antirassismus-Training. Zivilcourage – auch bei der Polizei – muss gefördert werden.
Bonn, 10.06.2020