Zum Inhalt
News-Eintrag vom 16.03.2022

Nachruf auf Şerafettin Kaya

Wir trauern um den prominenten kurdischen Anwalt, Politiker und Menschenrechtsverteidiger Şerafettin Kaya, der am 12. März 2022 in Ankara verstorben ist.

Şerafettin Kaya wurde am 1. Dezember 1929¹ in Varto, Provinz Muş, Kurdistan (Türkei) geboren. Er besuchte von 1948 bis 1951 das Lehrerseminar in Erzurum und arbeitete bis 1962 als Lehrer in der Provinz Muş und in Ankara. Während seiner Lehrerzeit studierte er von 1958 bis 1962 an der Juristischen Fakultät der Universität Ankara. Nach dem Juraabschluss im Jahr 1962 und anschließendem Referendariat begann er ab 1963, als Rechtsanwalt in Muş zu arbeiten.

Şerafettin Kaya war seit seiner Lehrausbildungszeit gegen die Unterdrückung und für die Rechte und Freiheiten der Kurden politisch engagiert und aktiv. 1960 wurde er zum ersten Mal verhaftet. Er wurde nach dem Militärmemorandum von 12. März 1971, bei dem auch das Kriegsrecht verhängt wurde, zusammen mit zahlreichen anderen kurdischen politischen Aktivisten und Mitgliedern von DDKO (auf Deutsch „Revolutionäre Kulturvereinigungen des Ostens“) und T-KDP (auf Deutsch „Demokratische Partei Kurdistan – Türkei“) festgenommen, nach Diyarbakir gebracht und dort für einige Zeit in Haft gesetzt. Nach seiner Freilassung blieb er in Diyarbakir, um als Anwalt den politischen Gefangenen beizustehen. So übernahm er zwischen 1971 bis 1974 die Verteidigung von zahlreichen inhaftierten kurdischen Oppositionellen. In diesen politischen Prozessen, wo in den Anklageschriften Existenz und Rechte der kurdischen Bevölkerung systematisch abgelehnt und verleugnet und gleichzeitig zur Einschüchterung und Bestrafung kurdischer Aktivisten hohe Freiheitsstrafen bis hin zu Todesstrafen beantragt wurden, setzte er sich nicht nur für die Rechte seiner Mandanten ein, sondern wies auch die Anklageschriften mit sorgfältig vorbereiteten Argumenten zurück und verteidigte die Rechte des kurdischen Volkes. In der Folge wurde er 1973 in Diyarbakir erneut verhaftet.

Nach seiner Freilassung kehrte er zurück nach Muş, wo er bis zu 1975 den Vorsitz des Anwaltskammer übernahm. Gleichzeitig beteiligte er sich weiter aktiv an der kurdischen Politik. Er stand schon in den 1960er Jahren sowohl mit T-KDP als auch mit den DDKO-Gruppen in Kontakt und unterstützte ihre Aktivitäten. Später in den 1970er Jahren war er eines der Gründermitglieder des Komal-Verlags und von Rizgari. 1977 nahm er als unabhängiger Kandidat an den Parlamentswahlen teil.

Als 1978 in kurdischen Gebieten erneut Kriegsrecht verhängt wurde, wurden alle kurdischen Organisationen und Gruppierungen verboten und gegen deren Anhänger und Unterstützer landesweit Razzien durchgeführt. Die Festgenommenen wurden später nach Diyarbakir gebracht, wo das Zentrum von grausamer Folter und politischen Prozessen gegen Kurden war. Şerafettin Kaya kam zu der Zeit erneut nach Diyarbakir, um eine Anwaltskanzlei für die Verteidigung der politischen Gefangenen vor Militärgerichte einzurichten. So war er von 1978 bis zur seiner Inhaftierung 1981 als Anwalt in Diyarbakir in zahlreichen politischen Prozessen gegen PKK, Kawa, Rizgari, DDKD, KUK usw. tätig und leitete die Kanzlei. In diesen Prozessen deckte er viele Folter- und Missbrauchsfälle sowie andere Menschenrechtsverletzungen auf, dokumentierte sie und setzte sich aktiv gegen Ungerechtigkeiten, die Leugnung der Existenz des kurdischen Volkes und gegen die Unterdrückungspolitik des türkischen Staates gegen die Kurden ein.

Anfang 1981 wurde er noch einmal festgenommen und im Militärgefängnis von Diyarbakir (bekannt auch als Gefängnis Nr. 5, welches zu dieser Zeit als eines der brutalsten Gefängnisse auf der Welt bezeichnet wurde) monatelang schwer gefoltert. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis kam er 1982 nach Deutschland und beantragte politisches Asyl. Seine Erlebnisse im Militärgefängnis von Diyarbakir schilderte er später in seinem Buch „Diyarbakır – Erfahrung in einem türkischen Kerker” (türkische Ausgabe mit dem Titel „Diyarbakır’da İşkence”). Seine Erlebnisse mit seinem Kollegen und Weggefährten Ruşen Arslan in Diyarbakır waren auch Gegenstand des Dokumentarfilms von Filmemacher Karaman Yavuz aus dem Jahr 1994 mit dem Titel „Diyarbakir – Ich schäme mich, ein Jurist zu sein“ (auf Türkisch „Hukukçuğumdan Utanıyorum“). Kaya brachte die schweren Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, deren Zeuge er bei seinen Mandanten war und schließlich selbst erleben musste, vor die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen und den Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments, dies wurde später unter dem Titel “Generaller Yargılanmalıdır” (auf Deutsch: „Generäle sollen vor Gericht gestellt werden“) in einer Schrift dokumentiert.

Während seines Exils in Deutschland war Şerafettin Kaya neben seiner Tätigkeit als Gutachter in Asylverfahren und Prozessen weiterhin gegen die Unterdrückung und für die Rechte des kurdischen Volkes politisch aktiv. So gehörte er zu den Gründern der 1987 gegründeten Organisation PRK/Rizgari. Er war auch eine der Gründer der in Europa erscheinenden Wochenzeitung Kurdistan Press.

Nach der Spaltung innerhalb der PRK/Rizgari 1991 verließ Şerafettin Kaya die Partei und beteiligte sich an der Gründung der Organisation Hevgirtin-PDK. Nach einer Weile verließen Kaya und einige seiner Freunde auch diese Partei und gründeten Hevgirtin Welatparez. Şerafettin Kaya nahm 1995 im Namen von Hevgirtin Welatparez auch an der Gründung des kurdischen Parlaments im Exil und 1999 des Nationalkongresses Kurdistan (KNK) teil.

Şerafettin Kaya, der nach seiner Herzoperation 1999 einen Schlaganfall erlitt und danach seine frühere Gesundheit nicht wiedererlangen konnte, kehrte 2014 nach 32 Jahren Exil in die Türkei zurück. Er verstarb am 12. März 2022 nach seinen schweren Krankheiten. Er wurde auf eigenen Wunsch in seiner Heimat Muş beigesetzt.

Şerafettin Kaya widmete sein Leben dem Kampf gegen die Unterdrückung des kurdischen Volkes und kämpfte für seine Rechte und Freiheiten. Er galt auch als juristisches Gedächtnis der kurdischen Gesellschaft hinsichtlich der politischen Prozesse in den 70er und 80er Jahren.

Er war NAVEND – Zentrum für Kurdische Studien e.V. freundschaftlich verbunden und verfolgte die Entwicklung von NAVEND e.V. mit großer Sympathie.

Wir werden Şerafettin Kaya als entschlossenen Verteidiger der kurdischen Rechte und Freiheiten in Erinnerung behalten. Unser tiefstes Beileid gilt seiner Familie sowie seinen Freunden und Weggefährten.
—————–
¹Bezüglich des Geburtsjahres gibt es unterschiedliche Angaben.

NAVEND – Zentrum für Kurdische Studien e.V. 

Bornheimer Str. 20-22, 53111 Bonn
Tel: 0228 652900, Fax: 0228 652909
info@navend.de


Jede Spende hilft unserer Arbeit!

In unserer Arbeit setzen wir uns mit wichtigen Entwicklungen in allen Teilen Kurdistans auseinander und unterstützen Prozesse zur Verbesserung der Lage der Kurd*innen in ihrer Heimat. Seit unserer Gründung haben wir mit zahlreichen Veranstaltungen und Projekten viele drängende Themen aufgegriffen.

Weiterlesen

Beratung und Hilfe im Bereich Erziehung/ Bildung in Bonn

Wir bieten insbesondere für kurdische Kinder und Jugendliche sowie ihre Eltern Beratung und Unterstützung zu folgenden Themen an:

Studium, Schule, Erziehung, diesbezügliche Konfliktsituationen, Förder- und Nachhilfemöglichkeiten für Kinder und Jugendliche, Schwierigkeiten im Alltag.
Man kann uns telefonisch, per Mail und per Chat kontaktieren. Oder kommt einfach vorbei!

Ansprechperson: Shirin Jamil
Sprechstunde: Di & Do: 14:00-16:00
Telefon: 015751166265 | 0228/652900
Mail: projekt@navend.de, info@navend.de

Hinweis in eigener Sache:

In der jetzigen Corona-Pandemie hoffen wir, dass es Euch/Ihnen und Euren/Ihren Familien gut geht.

Um niemanden zu gefährden, haben wir alle Veranstaltungen und Treffen bis auf Weiteres abgesagt. Unsere Geschäftsstelle ist von Montag bis Donnerstag von 9.00 – 17.00 Uhr für den Publikumsverkehr geöffnet. Wir bitten jedoch um vorherige Terminvereinbarung; auch ist ein Mund-Nasen-Schutz erforderlich.

Weiterlesen

Hinweise zum Umgang mit dem Corona-Virus auf Kurdisch

Informationen der Landesregierung NRW: Kurmancî

Mehrsprachige Information zum Umgang mit dem Coronavirus

Kurdischsprachiges Beratungsangebot in Köln-Vingst

Montags 13.00 – 15.00 Uhr
Kultur- und Bildungszentrum Köln e.V.
Olpener Str. 143, 51103 Köln-Vingst

Diese Beratung wird ehrenamtlich von Herrn Hasan Taschkale durchgeführt. Wir danken ihm für sein Engagement. Er hilft bei Alltagsfragen – ob zum Thema Schule, Behörden oder Beruf, durch Übersetzung, Gespräche oder gegebenenfalls den Verweis zu Fachberatungsstellen.

Infomaterial für Geflüchtete in kurdischer Sprache

Hier gibt es Informationen über Asylrecht, Asylverfahren und weitere hilfreiche Links.

Kurdische Lehrbücher für Kinder

Hier finden Sie die erste Auflage unser neuen Broschüre, die aktuelle Lehrmaterialien für den Kurdisch-Unterricht auflistet und kommentiert.


Schrift anpassen



Farbauswahl