Fluchtursachen in Kurdistan – Die Situation der kurdischen Flüchtlinge in Deutschland
Von Klaus-Peter Kücherer
Kurde sein bedeutet in den Siedlungsgebieten in der Türkei, im Irak, im Iran und in Syrien, zu einer diskriminierten Minderheit zu gehören. Menschen anderer Kulturen werden nicht gefördert, sie werden unterdrückt oder gar auf das schärfste verfolgt. Die Lage der Kurden hat sich in den 90er Jahren vor allem im Irak und in der Türkei dramatisch verschlechtert:
Der Konflikt solle dort mit militärischen Mitteln „endgültig“ gelöst werden. Die Folgen dieser militärischen Antwort sind erschreckend, es wundert deshalb nicht, dass nun bald jeder fünfte in Deutschland anerkannte Asylbewerber aus Kurdistan kommt.
Die deutsche Sichtweise auf kurdische Flüchtlinge ist nicht durch die Diskussion der Konfliktursachen und der internationalen politischen und militärische Verflechtungen geprägt, es stehen plakative Simplifizierungen im Vordergrund: „Verwirktes Gastrecht“, „das Asylrecht wird tausendfach missbraucht“. Dieser von den Medien mitgetragenen schiefen und uninformierten Sichtweise auf kurdische Flüchtlinge hat die Veranstaltung durch Hintergrundinformationen und sachliche Darstellung der Lage in Kurdistan ein deutliches Gegengewicht gesetzt.
So beschrieb Cinur Ghaderi die Situation in Südkurdistan folgendermaßen: ,,Die kurdischen Massen resignieren, sind pessimistisch, fühlen sich hilf- und hoffnungslos und versuchen, (dieser Situation) zu entfliehen.“ Sie stellte die Lage im syrischen Teil Kurdistans als im hohen Maße unsicher dar, die geprägt sei von dem andauernden Bruderkrieg zwischen PUK und KDP einerseits und den Übergriffen des türkischen Militärs auf zivile Siedlungen unter dem Deckmantel der Bekämpfung der PKK sowie der chronischen Gefahr eines Eingreifens irakischer Militärkräfte auf der anderen Seite. Insgesamt sei die Situation in der sogenannten Schutzzone sehr angespannt, führte sie weiter aus. „Die Menschen leben in permanentem inneren Alarmzustand (…), ohne Kontakt zur Außenwelt und in ständiger Lebensgefahr …; sie seien „erschöpft, ständig um ihre Existenz kämpfen und fürchten zu müssen.“
Über die Lage in Ostkurdistan berichtete Jalil Hassan Pour, dass die während der 78er Revolution gegen den Schah geschürten Hoffnungen der Kurdlnnen im Iran auf mehr Freiheiten, wirtschaftliche und kulturelle Rechte und Selbstverwaltung schon innerhalb kürzester Frist zerstört wurden. Die Lage der Kurdlnnen habe sich laufend verschlechtert. Die kurdische Bevölkerung fliehe aus verschiedenen Gründen aus dem Iran: weil sie zu einer politischen Partei oder Organisation gehören, Angehörige einer ethnischen oder religiösen Minderheit seien, ihre Lebensgrundlagen zerstört würden und vor allem junge Kurdlnnen keine Lebensperspektive hätten.
Cankurd berichtete über die Lage in Westkurdistan: „Die syrischen Kurden werden in ihrer Heimat unterdrückt, enteignet, ihnen wird die syrische Staatsangehörigkeit aberkannt, sie werden umgesiedelt und nach einem rassistischen Arabisierungsplan als Menschen zweiter Klasse behandelt. (…) Das Leben ist für viele Kurden in Syrien so schwer und unerträglich geworden, dass sie ihre Heimat mit Tränen in den Augen verlassen und mit der Hoffnung, dass sie irgendwo in der Welt als freie Menschen behandelt werden. Die Kurden, die sich weigern ihr Land zu verlassen, leben in einem großen Gefängnis, das Syrien heißt.“
Die wichtigsten Fluchtgründe für Kurdlnnen aus Nordkurdistan liegen nach Ansicht von Sakir Ün in der türkischen Kurdenpolitik, die die Kurdenfrage ausschließlich mit militärischen Mitteln lösen wolle. Gleichzeitig zum massiven Militäreinsatz und dem über die kurdischen Gebiete verhängten Kriegsrecht werde vom türkischen Staat eine Politik der Entvölkerung, Vertreibung, eine systematische Vernichtung agrarischer Lebensgrundlagen und kurdischer Siedlungen betrieben. Hunger, die Schließung von Gesundheitszentren und Schulen sowie eine hohe Kindersterblichkeit in Nordkurdistan tun ihr übriges, um Kurdlnnen zur Flucht zu bewegen.
Zum Abschluss des Informationsblocks beschrieb Dr. Norbert Körsgen die Situation des deutschen Rechtssystems zu Flüchtlingen folgendermaßen: „Die rechtlichen Feststellungen, die der Verfolgungsschutz erfordert, stellen uns (das deutsche Rechtssystem, d. A.) vor eine schwer zu bewältigende Aufgabe und niemals können wir sicher sein, dass wir sie bewältigen. (…) Gerade in den Staaten, aus denen Kurden zu uns kommen, sind Dokumente ihrer Erscheinungsform nach etwas anderes, als bei uns. (…) Wir müssen ständig unsere Wertungen korrigieren und unsere Ansichten darüber, was wir glauben dürfen und was nicht.“
Weiter führte er als Antwort auf Klagen über das deutsche Asylrecht aus: „Sie haben zu Recht davon gesprochen, dass Ihnen auch in meiner Rechtsgemeinschaft Unrecht widerfahren ist. Ich verurteile niemanden, der Ihnen das zugefügt hat, denn das steht mir nicht zu. Aber es empört mich!“
Kurdistan heute Nr. 23, Dez.1997/Jan.1998