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Politische Morde an Kurden

Eine Analyse der extralegalen Hinrichtungen in der Türkei

Von Dr. Tarik Ziya Ekinci

Der aus der kurdischen Stadt Lice stammende Schriftsteller Dr. Tarik Ziya Ekinci ist ehemaliger Generalsekretär der Arbeiterpartei der Türkei (TIP) und war von 1965-69 Abgeordneter der Stadt Diyarbakir im Parlament. Sein Bruder, Rechtsanwalt Yusuf Ekinci, wurde im Februar 1994 in Ankara ermordet. So ist er ein Betroffener der sogenannten ungeklärten politischen Morde. Herr Ekinci war im November in Deutschland und hielt auf einigen Veranstaltungen diesen Vortrag.

In der Türkei findet seit über zehn Jahren ein Krieg zwischen den türkischen Streitkräften und der PKK statt. Um den ehemaligen Generalstabschef Dogan Güres zu zitieren, hat sich dieser Krieg zu einem „totalen Krieg“ entwickelt. Dieser schmutzige Krieg, der gegen alle Kurden gerichtet ist und ganze Lebensbereiche umfasst, dauert erbarmungslos an. Das Scheußlichste dabei ist, dass dieser Krieg hinterhältig geführt wird: Sowohl die Massenvernichtung an Kurden, wie auch der materielle und geistige Schaden konnte vor der türkischen Öffentlichkeit und der Weltöffentlichkeit bisher verheimlicht werden. Die Medien in der Türkei sind bezüglich dieses Krieges indoktriniert und parteiisch. Die Öffentlichkeit ist chauvinistisch aufgehetzt und gegenüber dem Leid der Kurden desensibilisiert worden. Auch ist verhindert worden, dass die Repressionen gegen die Kurden, das Elend und das Leid der Kurden nach außen dringen konnten. Wir leben im Zeitalter der Kommunikation. Ereignisse und menschliche Dramen, die sich irgendwo auf der Erdkugel ereignen, erreichen in kürzester Zeit die ganze Welt. Aber die Ereignisse im Osten der Türkei werden mittels staatlicher Kontrolle verheimlicht und der Weltöffentlichkeit als ein banales kriminelles Ereignis dargestellt. Die Verbündeten der Türkei helfen hierbei mit. (…) Dieser „totale Krieg“, der in der Türkei gegen die Kurden geführt wird, ist von drei Vorgehensweisen gekennzeichnet:

1. Bewaffneter Kampf gegen die PKK

Es wird ein bewaffneter Kampf gegen die PKK geführt. Hierbei werden Kampfflugzeuge, mit schweren Waffen ausgestattete Helikopter, diverse Artilleriegeschosse und anderes Kriegsmaterial verwendet. Dieser Krieg ist nicht darauf ausgerichtet, PKK-Aktivisten außer Gefecht zu setzen oder gar festzunehmen. Er ist vielmehr darauf ausgerichtet, sie zu töten und zu vernichten.

2. Vertreibung der Kurden

Die kurdische Bevölkerung, die sich nicht am Krieg beteiligt, wird zur Flucht aus ihren Heimatorten gezwungen. Hierbei wird so verfahren, dass Gemeinden und Ortschaften, in denen ein PKK-Unterschlupf oder Unterstützung für sie vermutet wird, mit schweren Waffen zerstört, niedergebrannt und unbewohnbar gemacht werden, sodass die Bevölkerung zur Flucht gezwungen wird. Auf diese Weise sind die Provinzstadt Sirnak und die Landkreisstädte Cizre, Nusaybin, Dargecit, Lice und Kulp zerstört und ein Großteil ihrer Bewohner zum Wegziehen gezwungen worden. Da das Ziel dieser Operationen in erster Linie die Zerstörung der Wohneinheiten ist, erfährt die Bevölkerung informell und heimlich den Zeitpunkt des Angriffes, sodass sie sich verstecken kann und die Zahl der Toten begrenzt wird. Da jedoch die Gebäude unbewohnbar und deren Einrichtungen unbrauchbar gemacht werden, ist ein Wegziehen unausweichlich.

Solche Operationen werden insbesondere in Dörfern durchgeführt. Laut Stellungnahme des Innenministers Nahit Mentese auf eine Anfrage hin sind in der Zeit vom 30.11.1991 bis 08.12.1994 insgesamt 2.115 Dörfer und bewohnte Ortschaften auf diese Weise geräumt worden (Cumhuriyet 09.12.1994, S. 5). Eine weitere Methode, Gemeinden und Kreisstädte zu räumen, ist das Lebensmittelembargo. Hierbei werden die jeweiligen Zufahrtswege der Gemeinden unter Kontrolle gehalten und die Einfuhr von Lebensmitteln außerhalb der vorgeschriebenen Mengen verboten. Da die zugelassenen Lebensmittelmengen äußerst knapp sind, verlassen viele von Nahrungsmittelmangel bedrohte Familien ihre Dörfer und siedeln sich in den Randgebieten der großen Städte an.

Andererseits sind die Dörfer, die unter der Aufsicht der vom türkischen Staat eingesetzten Dorfschützer stehen, von Raketenangriffen der PKK betroffen, sodass auch diese Dörfer durch Brand und Verwüstung unbewohnbar werden. Die Dorfbewohner, die sich vor diesen Angriffen retten, wandern ebenfalls in andere Regionen ab. Neben der durch Gewalt verursachten Massenflucht, ist auch oft das Wegziehen einzelner Familien zu beobachten, die durch Repressionen, Folter, Überwachung, Todesdrohung u. ä. verursacht werden.

Der Wiederaufbau und die Neubesiedlung der geräumten Dörfer ist verboten. Die geflüchtete kurdische Bevölkerung hat keine Chance auf Rückkehr. Es gibt Überlegungen, die zwangsgeräumten Dörfer im Rahmen eines Zentraldorfprojektes zu neuen Siedlungseinheiten umzuwandeln und diese mit nichtkurdischer Bevölkerung zu besiedeln. Dadurch soll das Zusammenleben von Kurden in einer territorialen Einheit verhindert und das Problem endgültig „gelöst“ werden.

Hierzu folgende Pressemeldung:

„Das für die aus dem Osten und Südosten geflüchtete Bevölkerung vorgesehene Ansiedlungsprojekt der Verwaltung für Gesamtansiedlungsfragen (Toplu Konut ldaresi) soll im Sinne der MHP-Vorschläge [MHP = Partei der Grauen Wölfe, Anm. der Redaktion] einen neuen Inhalt bekommen. Meldungen zufolge ist unter der Leitung eines MHP-nahen Bürokraten aus dem Ministerpräsidentenamt ein Ausschuss gegründet worden. Dieser plane zur Bildung einer (kurdenfreien) Dreiecksregion zwischen der kurdischen Bevölkerung in Adiyaman. Diyaibakir und Tunceli die Ansiedlung von türkischstämmigen Gagausen und Abchasen (…) Weiter wird gemeldet, dass die Gespräche mit den gagausischen und abchasischen Türken, deren Ansiedlung in den geplanten Siedlungseinheiten in Adiyaman, Diyarbakir und Tunceli im Rahmen dieser Arbeit vorgesehen sind, fortgesetzt wurden.“ (Esra Yener, Cumhuriyet, 11.10.1995, S. 1-17)

Die geographische Einheit ist das maßgebende Element der nationalen Frage. Der Übergang vom Nationalbewusstsein zur Nation ist für eine ethnische Gemeinschaft ohne territoriale Einheit objektiv nicht möglich.

Die führenden Kräfte der türkischen Republik haben dieses soziologische Faktum erkannt und sich zur radikalen Lösung der kurdischen Frage jene politische Grundhaltung zu eigen gemacht, Kurden ihrer territorialen Einheit zu berauben und sie innerhalb der türkischen Mehrheitsbevölkerung im Westen zu assimilieren. Die Kurden zur Flucht zu drängen, ist ein wirksames Mittel dieser Politik.

3. Die sogenannten ungeklärten Morde

Eine weitere Vorgehensweise im Rahmen des „totalen Krieges“ gegen Kurden sind Morde unbekannter Täter an kurdischen Führern, Intellektuellen und Geschäftsleuten. Die physische Liquidierung von Personen, die für die nationalen und demokratischen Forderungen der Kurden wichtig sind, insbesondere von führenden dynamischen Kräften in der Kurdenbewegung, wie kurdische Intellektuelle und Geschäftsleute, ist ein wichtiges Mittel zur Schwächung und Niederschlagung der demokratischen kurdischen Nationalbewegung. Der Begriff „Morde unbekannter Täter“ wird lediglich für die von Organisationen geplanten und verübten Verbrechen verwendet, die sich innerhalb des Staates eingenistet und sich der staatlichen Autorität bemächtigt haben. Da diese Morde mit Zustimmung der jeweiligen politischen Führungen verübt werden, bleiben die Täter geschützt und können niemals ausfindig gemacht werden. Trotz vorhandener wichtiger Beweise und Zeugenaussagen werden die Ermittlungsverfahren dieser Verbrechen oftmals ergebnislos eingestellt und zu „Verbrechen unbekannter Täter“ erklärt.

Um völlige Verwirrung zu schaffen, wird dieser Begriff auch für die Verbrechen verwendet, die von ideologisch ausgerichteten, illegalen Organisationen verübt werden. Dabei sind bei diesen Verbrechen sowohl die Organisationen als auch die Täter bekannt. So sollte der Begriff „Morde unbekannter Täter“ lediglich für die Verbrechen an kurdischen Intellektuellen, Geschäftsleuten und Kadern verwendet werden, die von Organisationen mit staatlicher Verbindung geplant und ausgeführt worden sind. Da all die bisher verübten Morde, deren Täter die Sicherheitskräfte nicht ausfindig machen konnten oder wollten, gemeinsame Charakteristika aufweisen, wird deutlich, dass dieser Begriff nur für Verbrechen an Kurden verwendet werden kann.

Die Erklärung des heutigen Staatspräsidenten und früheren Ministerpräsidenten Süleyman Demirel zum Attentat an dem bekannten Journalisten Ugur Mumcu lautete: „Es gibt nur noch drei Verbrechen, deren Täter unbekannt sind. Diese werden ausfindig gemacht werden.“ (Milliyet, 25.01.1993, S. 11). Demirel meinte damit die Morde an Bahriye Ügok, Muammer Aksoy und Qetin Emec. Stattdessen lag nach offiziellen Angaben bis zu diesem Datum die Zahl der verübten Verbrechen unbekannter Täter über tausend. Allein 1992 wurde die Zahl der Verbrechen dieser Art mit 732 angegeben (Milliyet, 14.05.1994, S. 1)

Wenn Demirel in seiner oben erwähnten Erklärung nur die von illegalen und ideologisch ausgerichteten Organisationen verübten Morde, deren Täter nicht gefasst werden konnten, als „Verbrechen unbekannter Täter“ bezeichnet, bringt er damit indirekt zum Ausdruck, dass all die anderen Verbrechen mit dem Staat in Verbindung stehen und die Täter geschützt werden.

Die Vermutung, dass Morde an kurdischen Intellektuellen, Geschäftsleuten und regionalen Führungskräften von manchen Organisationen unter dem Schutz und mit Wissen des Staates verübt worden sind, ist weit verbreitet. Diese Auffassung ist zum großen Teil mit Zeugenaussagen und ernst zu nehmenden, sachlichen Beweisen belegt. Es gibt auch die Auffassung, diese Verbrechen als „Morde unbekannter Täter“ zu bezeichnen, entspräche nicht der Realität. Deshalb wird von einigen Kreisen vorgeschlagen, statt des Begriffes „Morde unbekannter Täter“ den Begriff „Morde bekannter Täter“ zu verwenden. Das Letztere wird zum Beispiel von der Rechtsanwältekammer in Diyarbakir bevorzugt verwendet. Zweifellos trifft dies auch den Kern der Realität. Da jedoch der Begriff „Verbrechen bekannter Täter“ gleichzeitig eine Unbestimmbarkeit beinhaltet, ist er auf wenig Interesse gestoßen.

Zusammenfassend sollte gesagt werden, dass sowohl für die Verbrechen, die bekanntlich von ideologisch ausgerichteten, illegalen Organisationen verübt werden, deren Täter nicht zu fassen sind, wie auch für die im juristischen Verfahren anhängigen Verbrechen, deren Täter nicht bestimmbar sind, die Bezeichnung „Verbrechen nicht ermittelbarer Täter“ verwendet wird. Für die politisch motivierten Verbrechen, deren Täter unter dem Schutz des Staates stehen, sollten wir, bis eine adäquate Bezeichnung gefunden wird, den Begriff „Morde unbekannter Täter“ verwenden.

Es ist bekannt, dass die Dozentin Dr. Bahriye Ücok, Prof. Muammer Aksoy, die Journalisten Qetin Emec und Ugur Mumcu sowie der Schriftsteller Turan Dursun von Aktivisten radikaler islamischer Organisationen getötet wurden. Schließlich hat der Leiter der Istanbuler Sicherheitsbehörde, Neodet Menzir, am 24.01.1995 in den 19-Uhr-Nachrichten der Fernsehanstalt ATV berichtet, dass im Fall von Qetin Emec drei tatverdächtige Personen festgenommen wurden. Er erklärte weiter: „…in den Fällen Bahrfye Ücok, MuammerAksoy, Turan Dursun und Ugur Mumcu sei bekannt, dass diese Verbrechen eine Verbindung zum Ausland hätten und von Mitgliedern einer islamischen Terrororganisation verübt worden wären. (…)“

In einem Bericht der Nachrichtenzentrale der Tageszeitung Milliyet, der sich auf die Angaben des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Klärung der Verbrechen unbekannter Täter stützt, wird die Zahl der Verbrechen dieser Art mit 1.796 angegeben (Milliyet, 14.05.1994, S. 116). 1.488 dieser Verbrechen sind in den östlichen und südöstlichen Provinzen verübt worden. 203 der verbleibenden 308 Verbrechen wurden an kurdischen Intellektuellen und Geschäftsleuten in Istanbul begangen. Die restlichen sind in weiteren großen Provinzen wie Adana, Ankara, Antalya, lzmir, Bursa und Eskisehir verübt worden. Die Realität, die diese Untersuchung offenlegt, ist, dass diese „Morde unbekannter Täter“ sich insbesondere auf die Ost und Südostprovinzen konzentrieren, in denen mehrheitlich Kurden leben. Am zweithäufigsten sind diese Verbrechen in Großstädten anzutreffen, in denen sich Intellektuelle und Geschäftsleute kurdischer Herkunft bevorzugt niedergelassen haben. Hieraus wird ersichtlich, dass auch die Zahlen der parlamentarischen Untersuchungskommission jene Bestätigung zum Ausdruck bringen, dass „Morde unbekannter Täter“ an kurdischen Führungskräften, Intellektuellen und Geschäftsleuten eine systematische Vernichtung darstellen.

Die Informationen, die diese Untersuchungskommission zur Klärung der Verbrechen unbekannter Täter bekanntgab, verdeutlichen, dass diese Verbrechen nicht auf das willkürliche und verantwortungslose Verhalten mancher Gruppierungen zurückzuführen sind, sondern vielmehr auf eine Verbindung mit der politischen Führung des Staates hinweisen. Tatsächlich hat die Zahl solcher Verbrechen, die 1990 noch bei 44 und 1991 bei 68 und damit relativ niedrig lag, im Zeitraum der Koalition von DYP und SHP rapide zugenommen und sich 1992 auf 732 erhöht. Die rapide Zunahme hat sich in den Jahren 1993, 1994 und l995 ungebrochen fortgesetzt. Diese zuvor an kurdischen Führungskräften im Osten und Südosten verübten Verbrechen wurden in den Jahren 1993 und 1994 auf kurdische Intellektuelle und Geschäftsleute in den Großstädten ausgeweitet. Heute beträgt die Zahl der an Kurden verübten Morde unbekannter Täter über 3.000.

Der plötzliche Anstieg der Zahl der Attentate auf Kurden seit 1992 und ihre Ausweitung auf Intellektuelle und Geschäftsleute ist kein Zufall. Es ist vielmehr offensichtlich, dass der Anstieg im Zusammenhang mit dem politischen Entschluss steht, den die DYP/SHP-Koalition im Rahmen des „totalen Krieges“ getroffen hat.

Wie werden ,,Morde unbekannter Täter“ begangen?

Diese Morde werden von verschiedenen Kreisen (wie z.B. Konterguerilla, türkische Gladio, das Amt für Sonderkriegsführung bei der Armee, Jitem, u. ä.), die innerhalb des Staates organisiert sind, geplant und mittels verschiedener Vorgehensweisen ausgeführt. Zeugenaussagen zufolge wird deutlich, dass bei der Ausführung der geplanten Verbrechen nach fünf unterschiedlichen Methoden vorgegangen wird. Das Ziel der Wahl unterschiedlicher Vorgehensweisen ist, die Öffentlichkeit in Bezug auf den Ausgangspunkt der Attentate in die Irre zu führen und vom Verdacht auf Organisationen mit staatlicher Verbindung abzulenken.

Die bei den Verbrechen zumeist angewandten Vorgehensweisen sind:

1. Verbrechen durch die zivile Polizei oder durch Mitarbeiter der Sondereinheiten
2. Verbrechen durch die Aktivisten der Hisbollah-Organisation
3. Verbrechen durch abtrünnige, ehemalige PKK-Angehörige
4. Verbrechen durch die Dorfschützer
5. Verbrechen durch Mafia-Militante wie z.B. Graue Wölfe

Ziele der Morde unbekannter Täter

→ Durch Liquidieren der Führungskräfte aus dem Volk soll die kurdische Bewegung geschwächt und seines Einflusses beraubt werden.

→ Durch Verbreiten von Angst und Panik sollen kurdische Intellektuelle und Geschäftsleute zur Passivität verleitet und vom politischen Kampf abgehalten werden.

Der Anstieg der Morde unbekannter Täter an kurdischen Führungskräften, Intellektuellen und Geschäftsleuten in den vergangenen zwei bis drei Jahren und die zeitgleiche Zunahme der Flucht in westliche Provinzen und ins Ausland sind ein Beleg dafür, wie wirksam diese Methode ist, Führungskader in die Flucht zu treiben.

Hängt die Nichtaufklärung der Morde unbekannter Täter mit der Unzulänglichkeit der Sicherheitskräfte zusammen?

Diese Frage ist auf jeden Fall mit Nein zu beantworten. Die türkischen Sicherheitskräfte, insbesondere die Polizei, ist bei der Aufklärung krimineller Straftaten und der Ergreifung von Tätern äußerst erfolgreich. Diese These kann mit vielen Beispielen belegt werden:

→ Das Massenverbrechen 1994 in Tuzla, bei dem PKK-Aktivisten heimlich und ohne Spuren zu hinterlassen, eine Bombe in den Müllbehälter am Bahnhof platzierten und diesen zum Explodieren brachten, wurde aufgrund der sorgfältigen Arbeit der Polizei innerhalb eines Monats aufgeklärt und die Täter gefasst.

→ Die Aktivisten, die am 26.06.1994 im Vergnügungszentrum Pyramit in Kadiköy und im Militärkasino Fenerbahce ohne Spuren zu hinterlassen Bomben platzierten, bei deren Explosion zwei Polizisten getötet wurden, wurden innerhalb von 20 Tagen gefasst.

→ Die Aktivisten der Organisation DevSol, die am 29.09.94 den ehemaligen Justizminister Mehmet Topac, ohne Spuren zu hinterlassen, mit einer schallgedämpften Pistole ermordeten, wurden innerhalb von fünf Tagen gefasst.

→ Die Aktivistenderorganisation THKPC, die am 15.12.94 den Militärmediziner Major Fuat Cik in seiner Praxis in Elazig, ohne Spuren zu hinterlassen ermordeten, wurden innerhalb eines Monats gefasst.

→ Die Täter, die am 17.09.95 in Izmir/Gaziemir durch die Explosion einer in einer Mülltonne platzierten Bombe eine blutige Aktion durchführten, wurden binnen zehn Tagen gefasst.

Die Täter von Tausenden von Morden, die in den vergangenen fünf Jahren an Kurden verübt worden sind, konnten trotz ernsthafter Beweise nicht gefasst werden bzw. man wollte sie nicht fassen.

Einige Beispiele:

→ Der Mord an Vedat Aydin, der von zwei Sicherheitsbeamten von seinem Zuhause verschleppt und später umgebracht wurde. ist nicht aufgeklärt worden. Obwohl seine Frau und seine Kinder Angaben über die Täter und die Tatfahrzeuge machten, wurden die Täter nicht gefasst.

→ Der Fall Ismail Kocakaya, der mit Dienstfahrzeugen (mit den amtlichen Kennzeichen „21 EC 589“ und „21 EF 916“) abgeführt und später von zivilen Sicherheitsbeamten ermordet worden ist, wurde als Verbrechen unbekannter Täter eingestellt.

→ Die Mörder der Geschäftsleute Feyzi Aslan und Sahin Aslan, die im Beisein von fünf Augenzeugen von einem Teehaus in Istanbul von zivilen Sicherheitsbeamten abgeholt worden waren, wurden ebenfalls nicht gefunden.

→ Auch die Mörder des berühmten Schriftstellers Musa Anter und des Parlamentsabgeordneten der Provinz Mardin (für DEP), Mehmet Sincar, wurden nicht gefunden bzw. man wollte sie nicht finden. Auch in diesen beiden Fällen gab es genügend Beweise und Täterbeschreibungen.

Hunderte ähnlicher Mordfälle, bei denen konkrete Angaben zur Tat und Täterbeschreibungen von Augenzeugen vorhanden sind, wurden vertuscht und als „Morde unbekannter Täter“ deklariert.

Politische Analyse der Morde unbekannter Täter

Wie ich bereits oben erwähnt habe, sind die sogenannten ungeklärten Morde, die an Kurden verübt wurden, von den politischen Machthabern befürwortete und von geheimen Kreisen innerhalb des Staates geplante und ausgeführte Verbrechen, deren Täter unter Schutz stehen. Insofern sind es politische Morde. Im Bewusstsein der Öffentlichkeit wird der Staat hierfür verantwortlich gemacht. Der Staat wird solange hierfür verantwortlich sein, solange diese Fälle nicht gelöst und die Täter nicht gefasst sind.

Der Terror, das willkürliche Verschwindenlassen und sogenannte ungeklärte Morde, die heute im Auftrag des Staates in der Türkei praktiziert werden, erschüttern das gesellschaftliche Vertrauen in den Staat und stellen seine Legitimität in Frage. Insbesondere die rechtswidrige Praxis an Kurden hat deren Vertrauen in den Staat völlig vernichtet. Deshalb leben die kurdischen Führungskräfte, Intellektuellen und Geschäftsleute mit dem Gefühl, ohne jede staatliche Sicherheit zu sein, und mit der Angst, getötet zu werden.

Die Bedeutungslosigkeit der Begriffe wie „Recht und Rechtsstaatlichkeit“ für die Führungsschicht der Türkei hat historische Zusammenhänge. Das Verständnis, dass dem Staat eine „Heiligkeit“ zugesprochen wird, spielt noch immer eine bedeutende Rolle. Hierbei handelt es sich um eine Tradition aus dem Osmanischen Reich, in dem Scheichs, Wesire, ranghohe islamische Richter und andere hochrangige Bürokraten für die hoheitlichen Interessen des Staates ermordet wurden. Das Recht auf Ausübung der Staatsgewalt, das im Osmanischen Staatssystem Gott zugeschrieben wurde, haben osmanische Herrscher als Vertreter Gottes auf Erden für sich in Anspruch genommen. In der Türkei ist es noch immer eine ungebrochene Tradition, die Staatsgewalt, die durch den Übergang vom osmanischen Staatssystem zur Republik der Willenserklärung der Nation übertragen wurde, als „heilig“ zu erklären. Hierzu ein Zitat des Oberstaatsanwaltes des Staatssicherheitsgerichtes Ankara:

„Jeden, der sich gegen den Staat erhebt, musst Du festnehmen und aufhängen. So haben es Atatürk und der Yavuz Sultan Selim zu ihrer Zeit auch praktiziert.“ (Sabah Gazetesi 23.01.1995, S. 3)

Das Niederbrennen und Zerstören von tausenden kurdischen Dörfern und das erbarmungslose Vertreiben seiner hilflosen Bewohner geschehen im hoheitlichen Interesse des „heiligen“ Staates. Die bestialischen Morde an kurdischen Führungskräften, Intellektuellen und Geschäftsleuten gehören ebenfalls zu den unverständlichen Praktiken, die im hoheitlichen Interesse des „heiligen“ Staates durchgeführt werden.

Ein Regime, das den Staat als „heilig“ betrachtet und das Opfern von Menschen und Menschengruppen im Sinne von „der Mensch existiert für den Staat“ für legitim erklärt, ist faschistisch. Da in der Türkei der Übergang vom Sultanat und Kalifat zur republikanischen Staatsform nicht auf einem innerdynamischen Entwicklungsprozess basiert, hat sich an dem Verständnis, die Staatsgewalt gehe von Gott aus, nichts geändert. Dieses Verständnis von der „Souveränität der Nation“ konnte von der Gesellschaft nicht verinnerlicht und zu einer gesellschaftlichen Wertenorm werden. So ist das Verständnis, den Staat als ein „heiliges“ Gebilde zu betrachten, sowohl bei den Machthabern als auch innerhalb breiter Volksmassen weit verbreitet. Schließlich spiegelt sich dieses Verständnis auch in der Verfassung von 1982 wider, in deren Präambel die Heiligkeit des Staates festgeschrieben wurde. Dieses verquere Staatsverständnis ist eines der größten Hindernisse im Demokratisierungs- und Modernisierungsstreben der Türkei. In einem demokratischen Land würde allein die Ermordung eines einzigen Menschen im Interesse des Staates zu einer Erschütterung führen. Die Bevölkerung sollte Druck ausüben mit dem Ergebnis, dass die verantwortliche Regierung zurücktreten müsste. Obwohl in der Türkei bisher mehr als 3.000 unschuldige Menschen bestialisch ermordet worden sind, hat sich niemand gerührt; weder die Medien, noch die Bevölkerung haben reagiert.

Obwohl nach dem Kalten Krieg die Gladio der antikommunistischen Terrororganisationen bloßgestellt und aufgelöst wurden, kann die türkische Gladio im Namen des „Amtes für Sonderkriegführung“ ihre Existenz fortsetzen. Die Aufgaben und Kompetenzen dieser Organisation, die in den Bestimmungen des „Amtes für Sonderkriegführung“ („Sahra Talimatnamesi 31-15“) festgelegt sind, lauten wie folgt:

„Tötung, Bombardierung, bewaffneter Raubüberfall, Folter; Verursachen von Invalidität, Verbreitung von Terror durch Entführung, Provozierung von Ereignissen, Vergeltungsschläge, Geiselnahme, Brandstiftung, Sabotage, Propaganda und Verbreitung von unwahren Meldungen, Anwendung von Gewalt, Erpressung…“

In Paragraph 9 dieser Bestimmung heißt es: „Die Angehörigen dieser konterregulären Streitmacht im Untergrund haben in der Regel keinen gesetzlichen Status.“ Dadurch wird festgeschrieben, dass diese Organisation keinem Gesetz unterworfen ist und außerhalb des Rechtsbereiches operiert. Allein dieser Paragraph 9 wirft einen Schatten auf die Legitimität des Staates bzw. versetzt den türkischen Staat sogar in Unrechtmäßigkeit.

Damit der türkische Staat in der internationalen Gemeinschaft überhaupt an Vertrauen und Ansehen gewinnen kann, müssten zunächst alle „Morde unbekannter Täter“ aufgeklärt, die Täter vor Gericht gestellt und das Funktionieren der Rechtsstaatlichkeit gewährleistet werden. Dies ist nur möglich, indem die demokratischen Kräfte der Türkei einen organisierten und politischen Kampf gegen das rechtswidrige Staatsverständnis führen, im Sinne eines demokratischen Rechtsstaates, der die Menschenrechte respektiert. Die Völker und Staaten, die der Türkei wohlgesonnen sind, können die Bestrebungen der demokratischen Kräfte durch Solidarität und Zusammenarbeit unterstützen.

Kurdistan heute Nr. 17, Januar/Februar 1996

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